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An einem Nachmittag im späten April stand Christian Reinhard am Fenster und schaute hinaus. Es war ein herrlicher Tag, rm für die Jahreszeit, die Temperatur bereits sommerlich. Der Winter hatte lange gedauert, doch von einem Augenblickzum anderen war es Frühling geworden.Der Frühling war gekommen, später, aber auch rascher und freudiger als gewöhnlich. (…) alles keimte, grünte und blühte zur rechten Zeit.Sein Blick schweifte über die Felder, über denen eine flirrende Hitze lag, wie es sonst nur im August der Fall war. Vier Jahre war es her, seit er und Anne dieses Haus am Stadtrand gekauft hatten. Es lag ruhig und trotzdem nicht abgeschieden und war noch von ein bisschen Natur umgeben, was ideal war, wenn man mit Tim spazieren gehen wollte. Tim war der Airedale Terrier, den er und Anne sich ebenfalls vor vier Jahren angeschafft hatten. Beide hatten sie schon längere Zeit einen Hund haben wollen, aber sie hatten darauf verzichtet, da sie vor dem Hauskauf in einer relativ kleinen Wohnung im Zentrum von Düdelingen gelebt hatten.Was Christians Arbeitsplatz betraf, waren es knapp zwanzig Minuten mit dem Auto bis zum „Michel-Lentz-Gymnasium“, an dem er Französisch unterrichtete.Vor neun Jahren hatten er und Anne geheiratet. Er war jetzt 37 und sie 36. Bereits während der Schulzeit hatten sie sich gekannt, waren, wie sie sich später gestanden, schon damals ineinander verliebt gewesen. Sie hatten den gleichen Freundeskreis gehabt, hatten vieles zusammen mit ihren Freunden unternommen, doch nachdem Abitur hatten sie sich aus dem Auge verloren.Wir liebten einander als junge Leute recht herzlich; wir wurden getrennt: du von mir, (…) ich von dir.Als sie sich vor elf Jahren auf einer Vernissage wiedergesehen hatten, war die alte Liebe erneut aufgeflammt und diesmal waren er und Anne ein Paar geworden.So fanden wir uns wieder. Wir freuten uns der Erinnerung, wir liebten die Erinnerung, wir konnten ungestört zusammen leben.Christian blieb eine Zeit lang am Fenster stehen. Eigentlich hätte er die Arbeiten seiner 3C korrigieren müssen, was ihm sehr schwerfiel. Von Anfang des Schuljahres an hatte eine eisige Atmosphäre zwischen ihm und diesen Schülerinnen und Schülern bestanden. Feindselig starrten sie ihn an, wenn er das Klassenzimmer betrat, und ebenso feindselig beobachteten sie ihn während des Unterrichts. Er konnte tun, was er wollte, die Situation blieb unverändert.Immer dann, wenn er mit seinen Korrekturen nicht weiterkam, stand er auf und trat ans Fenster. In diesem Augenblick beneidete er Anne, die sich nicht mit pubertierenden und gelangweilten Schülern herumplagen musste. Sie war Lektorin in einem Verlag und arbeitete zurzeit nur halbtags, weil sie begonnen hatte, einen Roman zu schreiben; sie war es leid gewesen, stets nur das zu beurteilen, was andere verfasst hatten.

Christian fand es bis heute eine gute Entscheidung, dass sie beschlossen hatten, keine Kinder zu bekommen. Vor Jahren, als sie diesen Entschluss gefasst hatten, war Anne noch eindeutiger gegen Kinder gewesen als er. In letzter Zeit wurde er allerdings das Gefühl nicht los, dass sie doch ganz gerne ein Kind haben würde. Aber er sprach sie nie darauf an.

Gerade als Christian sich endlich wieder an seinen Schreibtisch setzen wollte, erregte ein junges Mädchen seine Aufmerksamkeit. Es hatte ihm den Rücken zugekehrt und schaute seinem Hund zu, der über das Feld lief, das an das Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite grenzte. Wie in Stein gemeißelt stand diese noch sehr junge Frau da, als hätte irgendein außergewöhnliches Ereignis sie so in Erstaunen versetzt, dass sie sich nicht mehr von der Stelle rühren konnte. Aber es war nichts Besonderes zu sehen. Nur der Hund, der ihr nun übers Feld entgegenrannte.